Save You (Maxton Hall, #2)(15)



Der komplette Instagram-Feed von xnzlg besteht aus Bildern von James und Lydia. Die beiden, in Schwarz gekleidet, auf dem Friedhof. Sie stehen aneinandergelehnt und geben sich gegenseitig Halt. James hat einen Arm um Lydia geschlungen und h?lt sie dicht an seiner Seite, das Kinn auf ihrem Kopf abgestützt.

Tr?nen schie?en in meine Augen.

Wieso tut man so etwas? Wieso fotografiert man diesen schlimmen Moment im Leben einer Familie, die ohnehin schon gebrochen ist, nur um diese Bilder dann im Internet zu posten? Niemand hat das Recht, derart in ihre Privatsph?re einzudringen.

Mit einer Hand wische ich mir über die Augen. Ich versuche, mich auf der Seite von xnzlg zurechtzufinden, und melde das Profil. Direkt danach markiere ich die Kommentare unter James’ Bildern als Spam, bis sie verschwinden.

Das ist das Einzige, was ich in dieser Sekunde tun kann, aber es reicht nicht. Die Fotos haben alle Gefühle, die sich im Laufe der letzten Woche in mir angesammelt haben, aufgewirbelt, sodass ich sie kaum noch kontrollieren kann. Das Mitleid, das ich für James und Lydia empfinde, ist überw?ltigend.

Ich klappe meinen Laptop zusammen und schiebe ihn zurück in die gepolsterte Hülle, dann greife ich nach meinem Handy und ?ffne eine neue Nachricht. Ich entschlie?e mich dazu, Lydia zu schreiben.

Ich wei? nicht, ob sie ihrer Familie mittlerweile von ihrer Schwangerschaft erz?hlt hat, aber sie soll auf jeden Fall wissen, dass sich nichts ge?ndert hat und ich trotz allem für sie da bin, wenn sie mich braucht. Ich ?ffne eine neue Nachricht und tippe:

Lydia, mein Angebot steht. Wenn du reden m?chtest, dann sag Bescheid.

Nach einigem Z?gern schicke ich die Nachricht ab. Danach starre ich auf das Handy in meiner Hand. Ich wei?, dass es die vernünftige Entscheidung w?re, es wieder wegzulegen. Aber ich kann nicht anders. Wie von selbst ?ffne ich James’ und meinen Nachrichtenverlauf.

Kaum zu glauben, dass seine erste Nachricht an mich etwas mehr als drei Monate zurückliegt. Es fühlt sich an, als w?ren seit dem Abend, an dem James mich nach London zu Beaufort eingeladen hat, Jahre vergangen. Ich erinnere mich an den Moment, in dem wir gerade die viktorianischen Kostüme anprobiert haben und seine Eltern überraschend aufgetaucht sind. Mein erster Gedanke, als ich Cordelia Beaufort gesehen habe, war ?Ich will wie sie sein?.

Ich war beeindruckt von der Art und Weise, wie sie den gesamten Raum mit ihrer Pers?nlichkeit eingenommen und, ohne etwas tun oder sagen zu müssen, Autorit?t und Kompetenz versprüht hat. Trotz Mortimer Beauforts harter Miene und k?rperlicher Pr?senz bestand kein Zweifel daran, wer von den beiden das Sagen bei Beaufort hat. Zwar habe ich sie nie wirklich kennengelernt, aber dennoch trauere ich um James’ Mutter.

Und ich trauere mit James. Als ich bei ihm war, hat er gesagt, dass er seine Mutter nicht mal richtig mochte, aber ich wei?, dass das nicht stimmt. Er hat sie geliebt, das habe ich ganz deutlich gemerkt, als er in meinen Armen geweint hat.

Mein Blick zuckt zu meinem Schrank. Kurzerhand gehe ich hinüber, um die Tür zu ?ffnen. Dann beuge ich mich runter. Ganz unten, im letzten Fach, hinter einem alten Turnbeutel versteckt, liegt James’ Pullover. Der, den er mir damals nach Cyrils Party übergezogen hat. Vorsichtig hole ich ihn hervor und vergrabe das Gesicht kurz darin. Inzwischen riecht er kaum noch nach James’ Waschmittel, aber trotzdem weckt der weiche Stoff Erinnerungen in mir. Ich schlie?e die Schranktür und gehe zurück zum Bett. Im Gehen streife ich mir den Pullover über und ziehe die ?rmel bis über meine Finger.

Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass die Wut auf ihn mich innerlich zerfrisst, ich aber gleichzeitig so mit James leide, dass ich in manchen Momenten das Gefühl habe, es keine Sekunde l?nger auszuhalten.

So wie jetzt.

Unschlüssig nehme ich mein Handy wieder in die Hand. Ich drehe es hin und her. Ich m?chte James schreiben, aber gleichzeitig m?chte ich es auch nicht. Ich m?chte ihn tr?sten und gleichzeitig anschreien, ihn umarmen und gleichzeitig schlagen.

Schlie?lich tippe ich eine kurze Nachricht.

Ich denke an dich.

Ich betrachte die Worte und atme tief ein. Dann drücke ich auf ?Senden?. Danach lege ich das Handy zur Seite. Mein Blick f?llt auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Mittlerweile ist es nach Mitternacht, und ich bin immer noch hellwach. Selbst wenn ich jetzt das Licht ausmache, werde ich nicht schlafen k?nnen, das wei? ich genau.

Ich ziehe meinen Rucksack an mein Bett und hole meine Notizen von heute Morgen heraus. Gerade als ich mich wieder an meine Kissen lehne und anfange zu lesen, vibriert mein Handy. Mit angehaltenem Atem ?ffne ich die Nachricht.

Du fehlst mir.

Eine G?nsehaut breitet sich auf meinem K?rper aus. Ich wei? nicht, was ich erwartet habe. Eine solche Antwort jedenfalls nicht. W?hrend ich noch immer auf die drei Worte starre, geht eine zweite Nachricht ein.

Ich m?chte dich sehen.

Die Worte verschwimmen vor meinen Augen, und obwohl ich unter der Decke liege und James’ dicken Pulli trage, wird mir kalt. In meinem Innern k?mpfen die unterschiedlichsten Gefühle miteinander: die Sehnsucht nach James, diese uns?gliche Wut auf ihn und gleichzeitig eine tiefe Trauer, als h?tte ich ebenfalls jemanden verloren.

Am liebsten würde ich schreiben, dass es mir ganz genauso geht. Dass er mir ebenfalls fehlt und ich nichts lieber t?te, als zu ihm zu fahren und für ihn da zu sein.

Aber das geht nicht. Tief in mir spüre ich, dass ich dafür auf keinen Fall bereit bin. Nicht nach dem, was geschehen ist. Nach dem, was er mir angetan hat. Es tut einfach zu sehr weh.

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